Der Weg des Krankwerdens nach osteopathischem Verständnis

Die Gesundheit variiert von Mensch zu Mensch und ändert sich im Laufe eines Lebens. Sie ist also keine Ziellinie, die man erreichen muss, sondern ein individuelles, sich änderndes Gleichgewicht, das es fortlaufend zu halten gilt. Gesundheit lässt sich daher eher mit einem Weg vergleichen, entlang dem wir uns bewegen. Kommen wir von diesem Weg ab, werden wir krank. Einflüsse von aussen oder innen können uns aus dem Gleichgewicht bringen. Sie wirken ständig auf uns ein und unser Organismus ist fortlaufend damit beschäftigt, auf sie zu reagieren. Der Einfluss selbst ist nicht entscheidend, sondern die Art, wie unser Körper darauf reagiert. Er kann Einflüsse zum eigenen Vorteil aufnehmen oder abwehren. Gelingt ihm die Abwehr nicht, kann der Einfluss die Funktion einer Struktur beeinträchtigen. So entstehen Funktionsstörungen, die meist am Anfang einer Erkrankung stehen. Funktionsstörungen bezeichnet der Osteopath als osteopathische Läsion oder Dysfunktion. Sie verursachen meist keine Schmerzen und liefern oft keine klinischen Befunde. Der Osteopath erkennt Funktionsstörungen anhand von veränderten Bewegungen im Gewebe. Dabei können sich die Bewegungsachsen einzelner Strukturen, das Ausmass oder die Qualität der Bewegung, sowie die Gewebequalität verändert haben. Um eine untrennbare Einheit zu behalten und das lebenswichtige Zusammenspiel nicht zu gefährden, besitzt der Körper die Fähigkeit, ausgefallene oder eingeschränkte Funktionen zu kompensieren. Er leiht sich also die betroffene Funktion von einer anderen Struktur aus, die diese Funktion zumindest zeitweise übernehmen kann. Wenn wir uns zum Beispiel einen Knöchel verstauchen werden wir das betroffene Bein schonen und dafür stärker auf dem anderen Bein auftreten.

Kompensieren schafft uns zwei Vorteile: Die Funktionsfähigkeit des Organismus bleibt in seiner Gesamtheit erhalten und die Funktionsstörung, die kompensiert wird, kann schneller heilen. Doch es gibt auch Nachteile. Eine kompensierende Struktur ist letztlich nicht dafür geschaffen, eine fremde Funktion zusätzlich zu übernehmen. Die übernommene Funktion wird deshalb nie die Leistung und Qualität der ursprünglichen Funktion erreichen. Auch wird die kompensierende Struktur ihre eigene Funktion reduzieren müssen. Oft lässt sogar eine Kompensation die nächste aus, so dass ganze Kompensationsketten im Körper entstehen. Kompensationen beeinträchtigen immer die kompensierende Struktur. Damit sinkt gleichzeitig die Fähigkeit des Körpers, Funktionen auszuführen. Kann der Organismus aber seine Funktionen nicht mehr in vollem Umfang ausüben, nimmt auch seine Fähigkeit ab, auf Einflüsse zu reagieren. Je mehr Kompensationen wir also kumulieren, desto anfälliger wird unser gesundheitliches Gleichgewicht. Der Körper wird überfordert, und wenn eine Funktionsstörung lange genug anhält, ändert sich irgendwann auch die betroffene Struktur. Spätestens dann liefert die Struktur klinische Werte, wir klagen über Beschwerden und zeigen Symptome. Ein Krankheitsauslöser kann teilweise recht harmlos sein. Doch wenn sich in unserem Körper viele Kompensationen ansammeln, kann der Körper nicht mehr richtig reagieren und er braucht Hilfe, um sein gesundheitliches Gleichgewicht wieder zu finden.